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„Beim Korrigieren muss ich immer etwas essen” - im Interview mit Frau Brostmeyer

Frau Brostmeyer ist seit 23 Jahren an der JGS und unterrichtet die Fächer Mathe und Deutsch. Des Weiteren ist sie Leiterin der Bibliothek und in der AG “Schulordnung” tätig. Im Interview haben wir mit ihr über ihr Leben als Schülerin und ihre jetzigen Tätigkeiten als Lehrerin gesprochen.


Mögen Sie lieber Schleimer:innen oder Klassenclowns?

Ich bevorzuge den Klassenclown, weil ich selbst einer war und mir von älteren Schüler:innen nichts habe sagen lassen.


Mögen Sie lieber Deutsch oder Mathe?

Ich mag lieber Mathe, da es mir leichter fällt - dennoch mag ich beide meiner Fächer. Eigentlich sollte es auch Musik anstelle von Deutsch werden.


Warum ist es nicht Musik geworden?

Im Nachhinein ist es gut, dass es nicht Musik geworden ist, weil ich nicht singen kann, es aber erforderlich gewesen wäre. Außerdem war ich aufgrund der kurzfristigen Bekanntmachung nicht auf die Aufnahmeprüfung vorbereitet. Deutsch war mein Leistungskurs, weshalb ich dann dieses Fach ausgewählt habe.


Wenn Sie jetzt wieder Schülerin wären - was würden Sie anders oder besser machen?

Ich würde nichts anders machen. Ich habe jetzt noch zu einigen meiner alten Mitschüler:innen Kontakt und wenn wir uns wiedersehen, fühlt es sich immer an wie früher. Ich sage jetzt im Rückblick immer, dass ich nichts ändern würde. Trotzdem haben manche meiner Lehrkräfte sehr unter mir gelitten, weil mein Papa an der gleichen Schule war und dieser direkt alles erzählt bekommen hat. Ohne mein Selbstbewusstsein und meine direkte Art hätte ich das anschließende Mathestudium aber nicht überstanden.


Gab es Lehrkräfte, die Sie in Hinblick auf Ihr weiteres Leben beeinflusst haben?

Ich hatte von der siebten bis zur zehnten Klasse einen unglaublich strengen Mathelehrer, der mir wegen meiner schlechten mündlichen Leistung eine Drei statt einer Eins gegeben hat.

In der zehnten Klasse hat er mich dann gefragt, ob ich eine Eins haben möchte. Um diese zu bekommen, sollte ich jede Woche einmal an die Tafel gehen, um etwas zu erklären. Das hat mir den Schubs gegeben, das Fach Mathematik auszuwählen.


Wenn Sie in der Klasse sitzen würden, in welcher Sie gerade unterrichten, was würden Sie dann über sich selbst denken?


„Oh Gott, ist die nervig, sie hat mich wieder erwischt - immer muss ich was tun.“

Natürlich hoffe ich auch, dass meine Schüler:innen wissen, dass sie immer zu mir kommen können, wenn sie ein Problem haben.


Wollten Sie schon immer Lehrerin werden?

Ich wollte schon Lehrerin werden, bevor ich in die Schule kam. Mein Papa war Lehrer für Mathe, Bio und Sport und musste mich einmal mit in die Schule nehmen, weil ich keinen Kindergartenplatz hatte. Dort haben sie Schiffe versenken im Koordinatensystem gespielt, was ich so cool fand, dass ich das anschließend auch machen wollte.


Was sind Ihre Tätigkeiten in der Bibliothek?

Ich bin Oberstudienrätin - das Leiten der Bibliothek, die vor 22 Jahren von einer Gruppe aus Kolleginnen und Kollegen gebildet wurde, ist sozusagen meine Zusatzaufgabe. Dabei bin ich unter anderem für die Neuanschaffung der Bücher verantwortlich.

Als wir die Räumlichkeit bekommen haben, mussten wir erst überlegen, wie alles aufgebaut werden soll – jetzt funktioniert unsere Bibliothek und wir „feilen“ an den Kleinigkeiten. Wir haben sämtliche Büchernummern in den Computer eingetippt und auch eine Lehrer-AG gegründet, die sich um die Gestaltung der Bibliothek kümmert. Zusätzlich ist auch eine Schüler-AG aufgebaut worden, die jetzt zum Glück wieder wächst - wir wurden zuvor durch Corona stark ausgebremst. Alle siebten Klassen müssen im 1. Halbjahr eine Führung mitmachen, um die Bibliothek, die auch ansonsten immer offensteht, besser kennen zu lernen. Zusätzlich haben wir eine Bibliothekskraft und in den siebten Stunden sind immer Lehrkräfte eingeteilt, die sich um die Schüler:innen kümmern. Auch sind wir ein Lernort für Menschen, die in ihre Abschlussprüfungen gehen. Im Moment planen wir den Welttag des Buches und freuen uns darauf, in Zukunft auch wieder Lesungen zu organisieren.


Denken Sie, die Bibliothek ist von Seiten der Schüler:innen gut angenommen worden?

In den Pausen sind relativ viele Schülerinnen und Schüler da, was ich schön finde. Ich habe jetzt erst UNO-Spiele angeschafft, welche zusammen mit den Comics sehr begehrt sind. Im Unterricht gibt es viele Kolleginnen und Kollegen, die mit ihren Klassen in die Bibliothek gehen; ich gehe zum Beispiel gern in Doppelstunden dahin.

Ich wünsche mir aber, dass das Angebot zur „kostenlosen Nachhilfe”, das wir in der siebten Stunde anbieten, mehr genutzt werden würde. Dort kommen meistens nur Schüler:innen, die ich selbst im Unterricht habe, um Hilfe zu bekommen. Es wäre schön, wenn mehr von diesem Angebot erfahren würden, da außerdem andere Lehrkräfte neben mir an verschiedenen Tagen zur Verfügung stehen. Frau Riehl ist mittwochs für Deutsch und Biologie und Frau Lindner donnerstags für Geschichte, PoWi und Ethik ansprechbar.


Außerdem sind Sie Teil der AG „Schulordnung“. Was kann man unter dieser AG verstehen?

Wir als engagierte Lehrkräfte finden uns immer zusammen, wenn uns etwas stört und das wünschen wir uns auch von den Schüler:innen. Die AG „Schulordnung” besteht im Moment aus fünf Lehrkräften, jedoch fanden sich keine Schüler:innen, die in die AG wollen. Wir machen uns Gedanken darüber, was an der Schulordnung verändert werden könnte. Zum Beispiel haben wir erarbeitet, was passiert, wenn jemand raucht oder Drogen konsumiert, damit die Lehrkräfte einheitlich darauf reagieren können. Als nächstes haben wir uns um den Schulhof gekümmert und z.B. die Liegebänke angeschafft. Wir wollten den Schulhof noch mehr verschönern, haben dann aber erfahren, dass er auf Bauschutt gebaut worden ist und deshalb nicht weiter begrünt werden kann.

Die Schilder, die wir zur Begrenzung des Schulhofes aufgestellt haben, wurden uns schon zweimal gestohlen. Wir würden gern noch mehr für unseren Schulhof anschaffen, aber das Geld fehlt.


Haben Sie im Nachhinein schonmal gedacht, eine:n Schüler:in unfair bewertet zu haben?

Ich ärgere mich oft mit den Schülerinnen und Schülern zusammen, wenn ein schlechtes Ergebnis erzielt wurde. Wenn jemand kurz vor der besseren Note steht, schaue ich nochmal genauer, ob ich noch einen fehlenden Punkt finde. Ich glaube, dass man das hinsichtlich der schriftlichen Leistungen in Mathe genau kalkulieren kann. In Deutsch muss ich im Vorhinein einen Erwartungshorizont erstellen, um auch dort fair und objektiv bewerten zu können.

In Bezug auf die mündliche Beteiligung denke ich, dass ich Schüler:innen nicht immer in ihrer eigentlichen Vielfalt erkenne. Ich schreibe mir aber wöchentlich einen Notenstand auf, um am Ende eine faire Note geben zu können.


Haben Sie beim Kontrollieren von Arbeiten eine besondere Routine?

Ich gehe in Mathe immer aufgabenweise durch. Das heißt, ich kontrolliere bei allen zunächst die Aufgabe eins, damit ich auch bei allen gleich fair bewerte. In Deutsch lese ich alle Arbeiten dreimal: Das erste Mal nur auf Fehler - für den Fehlerquotienten. Danach einmal grob auf den Inhalt, zu dem ich mir Stichpunkte mache und zum Schluss auf das “Fein-Tuning”.


Beim Korrigieren muss ich immer etwas essen.

Wie objektiv können Noten Ihrer Meinung nach vergeben werden?

Ich glaube schon, dass es relativ objektiv ist, wenn man vorher mit den Schülerinnen und Schülern darüber spricht, was die mündliche Note ausmacht. Wenn ich eine Klasse neu bekomme, sage ich immer ganz klar, was alles in die mündliche Note eingeht. Wichtig sind mir die Hausaufgaben, wie man seine Aufgaben löst, wie man anderen hilft oder ob man auch mal bei mir nachfragt bzw. den Lösungsordner nutzt. All dies fließt mit in die mündliche Note ein. Wenn ein Schüler oder eine Schülerin das weiß, dann habe ich nachher auch Argumente. Wenn das klar ist, kann man die Noten relativ objektiv vergeben.


Machen Sie sich als Lehrerin bei einem schlechten Notenspiegel Gedanken darüber, ob es am eigenen Unterricht liegt?

Natürlich – sogar schon beim Korrigieren, wenn eine Aufgabe nicht so richtig läuft. Da frage ich mich immer, ob ich das Thema nicht richtig erklärt habe und frage dann auch die Schülerinnen und Schüler. Bei mir müssen sie keine Berichtigungen machen, sondern aufschreiben, worin aus ihrer Sicht die Ursachen für ihre Abzüge liegen. Danach gebe ich immer einen Zwischenstand der mündlichen Noten, wobei sie mir ihre Fehleranalyse zeigen, und dann sehe ich, was ich nochmal erklären muss.


Welche Themen unterrichten Sie am liebsten, welche eher gar nicht?


In Mathe mag ich keine Geometrie mit Zeichnen, da dies so ungenau ist - das macht mich aggressiv. Wer jemals mit dem Geodreieck oder Zirkel an der Tafel gezeichnet hat, weiß, wie das ist: der Horror.

Ich mag Geometrie erst, wenn man es berechnen kann. In Deutsch gibt es in der Oberstufe Texte, die ich sehr mag: Goethes „Faust“ ist mein Liebling. Ich sage immer: Niemand darf die Schule verlassen, ohne Goethes „Faust“ gelesen und verstanden zu haben. Ich finde, das ist eine Bildungssache. Dann gibt es aber auch Texte, die mir nicht so gefallen, wie Franz Kafka, aber das sage ich meinen Schülerinnen und Schüler auch. Manchmal ist es witzig, dass die Schülerinnen und Schüler das mögen, was ich gar nicht mag. Darüber kann man dann aber auch intensiver reden.


Welche Arbeiten korrigieren Sie am liebsten und welche schieben Sie eher auf?

Mathe korrigiere ich am liebsten, da man dort besser zwischen richtig und falsch unterscheiden kann. Ich bemitleide immer die Lehrkräfte, die zwei Sprachen als Fächer haben.


In welchem Alter finden Sie die Schüler:innen am nervigsten?

In der achten Klasse. Ich kann mich immer an mich selbst erinnern und das sage ich auch den Eltern am Elternsprechtag: „Erinnern Sie sich mal daran, wie Sie in dieser Zeit waren.“ Das ist eine Zeit, in der vieles wichtiger ist als Schule. In dieser Zeit achtet man auf sich selbst und seinen Freundeskreis. Und dann stehst du da vorn und sagst, sie sollen mal die binomischen Formeln oder die Prozentrechnung lernen - völlig vergebens.

Das überlebt man, glaube ich, nur, wenn man persönlichen Kontakt zu den Schüler:innen hat und diesen sagt, dass man sie verstehen kann. Wenn ich eine neue Klasse in der Sieben bekomme, finde ich es immer ganz wichtig, dass ich sie ein bisschen kennen lerne, damit ich sie in der achten Klasse halten kann.


Wenn man Schüler:innen in der Achten neu bekommt - dann Tod und Teufel.

Ich muss dann immer die Böse sein und erstmal erklären, wie mein Unterricht abläuft. Mit der Zeit merken sie dann selbst, wann ich wirklich sauer bin und wann es eigentlich Fürsorge ist.


Gibt es Klassen, in denen Sie nicht gerne unterrichten oder sogar Angst haben zu unterrichten?

Nein, in den Klassen, in denen ich selbst unterrichte, trifft das nicht zu.

Ich finde es manchmal schwierig in Vertretungsstunden. Da flog zum Beispiel eines Tages eine Tipp-Ex-Flasche durch den Raum, schlug auf dem Boden auf, ging kaputt und die ganzen Jungs rannten hin, wischten mit ihren Händen in dem Tipp-Ex rum und beschmierten die Wände und die Tafeln. Ich konnte da nichts tun und habe mich nachher für diese verdreckte Klasse bei den Reinigungskräften entschuldigt. Da sieht man, dass man überhaupt keine Chance hat, wenn die Schüler*innen nicht wollen.


Wie stehen Sie zu unserem Schulsystem? Gibt es Verbesserungsbedarf?

Ich selbst war auf einer Gesamtschule wie der JGS. Wir wurden aber trotzdem in bestimmten Fächer übergreifend unterrichtet - Ethik hatte ich zum Beispiel mit den Haupt- und Realschüler:innen.

Wir hatten ein großes Wahlpflicht-Programm, in dem wir auch zweigübergreifend unterrichtet wurden: Ich hatte Englisch-Cooking, also wir haben zusammen gekocht und durften nur Englisch reden oder wir hatten zum Beispiel den Kurs „Trivialliteratur“, in dem wir „Kitsch-Romane“ geschrieben haben.

Solche Dinge, die die unterschiedlichen Zweige und Jahrgänge verbinden, fehlen hier leider. Ich wünsche mir auch mehr Teamarbeit unter den Lehrkräften.

Die Pandemie und jetzt auch noch der Krieg sind Themen, die die Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte, aber sicherlich auch die Eltern belasten. Generell ist die Situation belastend, wenn es nur darum geht, wie wir mit dem Lernstoff am besten vorankommen. Aber so soll es natürlich nicht sein: Ich bin schon immer gern zur Schule gegangen und ich komme auch gern hierher, aber ich habe das Gefühl, dass das Miteinander zurzeit total untergeht. Seit einigen Wochen tragen wir Lehrkräfte diese T-Shirts und kommen dadurch mit den Klassen ins Gespräch, was sie im Moment belastet, wie es ihnen geht und was sie aktuell vermissen. Ich denke auch, dass dieser Perspektivwechsel wichtig ist, um zu sehen, was die Schüler:innen bewegt.

Was möchten Sie den Schülerinnen und Schülern mitgeben?

Genießt die Schule mit allem, was dazu gehört: Das ganze Miteinander mit den Freunden, in der Klasse, auf dem Pausenhof, im Unterricht und auch das Miteinander mit den Lehrkräften. Teilweise hält man auch lang Kontakt zueinander und das ist echt schön. Ich finde es ganz toll, wenn ehemalige Schüler:innen wieder hierherkommen. Irgendwann guckt man ganz wehmütig zurück, weil es eben so schön gewesen ist. Im Grunde genommen ist Schule toll, auch wenn es mal blöde Zeiten gibt.


Vielen Dank für Ihre ausführlichen und ehrlichen Antworten.

 

Das Interview führten Laura und Mia.

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