Nach einem anstrengenden Schultag ist es doch am schönsten, sich auf‘s Sofa zu schmeißen, den Fernseher anzumachen und einfach mal im eigenen Haus zu entspannen - ein für uns alltägliches Szenario.
Dabei vergessen wir aber recht schnell, dass es auch Menschen gibt, die diesen Komfort nicht besitzen. Diese Leute, die in der Gesellschaft oft als "Penner" abgestempelt werden, haben nämlich nicht das Glück, ein Zuhause zu haben. Sie werden deshalb auch als Wohnungslose bezeichnet... Aber halt! Heißen die nicht eigentlich Obdachlose? Tatsächlich existiert aber ein Unterschied zwischen den beiden Begriffen. Während Wohnungslosigkeit die Lebenssituation beschreibt, bei der Menschen keinen festen Wohnsitz oder einen privaten Zufluchtsort haben, bezieht sich Obdachlosigkeit speziell auf solche, die im Freien oder in Notunterkünften übernachten müssen.
Eben jenen Menschen, die kein Dach überm Kopf haben, wird in der Tagesaufenthaltsstätte Panama der Sozialen Hilfe Kassel e.V. geholfen. Dazu haben wir uns auf den Weg gemacht und den Leiter der Tagesstätte, Stefan Jünemann, zu diesem Thema interviewt.
Der Sozialpädagoge, der sein Studium im Bauingenieurwesen abbrach, um letztendlich doch seine wahre Bestimmung im sozialen Bereich zu finden, arbeitet jetzt schon fast 30 Jahren dort. Die zu Fuß einfach zu erreichende Aufenthaltsstätte im Zentrum von Kassel wurde im Februar 1989 gegründet und feierte daher im vergangenen Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum.
Doch warum sollte man sich überhaupt mit dem Thema Obdachlosigkeit
auseinandersetzen?
Dunkelziffer steigt besorgniserregend...
678 000. Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen. Denn so viele Menschen waren laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) im Jahr 2018 in Deutschland wohnungslos. Dabei sollte man doch erwarten können, dass die Zahl im Hinblick auf den Reichtum Deutschlands wesentlich geringer sein sollte.
Zu allem Überfluss sind das aber nicht mal die genauen Zahlen. Man muss nämlich bedenken, dass die Dunkelziffer noch deutlich höher ist. Denn: Melden sich die Leute nicht für Sozialleistungen an, dann tauchen sie auch nicht in der Statistik auf. Und mehr noch: Die Zahlen steigen konstant.
So wird zum Beispiel geschätzt, dass in Kassel ca. 200 Leute wohnungslos sind, was der ein oder andere vielleicht schon bemerkt hat, als er seine monatliche Shoppingtour durch Kassels Innenstadt gemacht hat.
Warum obdachlos? Ein Haus ist doch so viel schöner
Abhängigkeiten, psychische Erkrankungen und Gefängnisaufenthalte - das sind nur die radikalen Gründe für Obdachlosigkeit. Aber im Grunde kann jeder von uns irgendwann einmal davon betroffen sein. Weil auch der Verlust der Arbeit, die Scheidung oder auch die Vorbelastung durch eine Hartz IV beziehende Familie können zur Wohnungslosigkeit führen. Blöd, oder?
Doch wusstet ihr, dass sich manche ganz bewusst dazu entscheiden, wohnungslos zu sein, und dies auch sind? Für uns unvorstellbar, für sie eine Überzeugung.
Gebt den Menschen doch einfach eine Wohnung, dann haben wir das Problem nicht mehr
Was sich so einfach dahinsagen lässt, ist in der Realität viel schwieriger umzusetzen. Denn wie soll man Menschen Wohnraum bieten, der gar nicht existiert? Zusätzlich muss man bedenken, dass auch das WG-Konzept hier nicht greift. Denn ihr könnt euch sicherlich denken, was passiert, wenn man einen Alkoholiker, einen psychisch Kranken und einen Drogenabhängigen auf engsten Raum zusammensteckt.
Somit bleibt aber das große Problem, dass die Menschen nun mal untergebracht werden müssen. Immerhin muss die Grundversorgung gewährleistet werden.
Oh, wie schön ist Panama!
Äh, liegt Panama nicht eigentlich in Südamerika? Nein, es liegt auch mitten im idyllischen Kassel. Denn wo andere nur ihre Augen verschließen, packt die Tagesaufenthaltsstätte Panama richtig mit an. Sie bietet den auf der Straße lebenden Menschen eine Zuflucht vor dem harten Alltag. So erwartet sie dort (gegen eine geringe Geldsumme) warmes Essen, Spiele, Sport und gelegentliche Ausflüge. Aber sie finden dort auch Orte, um sich Kleidung zu "kaufen" (jedoch handelt es sich dabei um einen vergleichsweise sehr niedrigen Betrag) und sich zu waschen.
Wer jetzt glaubt, dass sich die Leute, von denen sich immer maximal 30 bis 40 im Gebäude aufhalten dürfen, benehmen können, wie sie wollen, der hat sich aber gewaltig geschnitten. Denn wer hätte es anders erwarten können: Es gibt auch REGELN.
Alkohol. Für viele von uns ist es ganz normal, Alkohol zu trinken oder zu kaufen. Für die Klienten in der Tagesstätte ist jedoch ein striktes Alkoholverbot Alltag. Laut Herrn Jünemann verändere Alkohol nämlich die Menschen, wodurch es zu mehr Gewaltbereitschaft kommen kann. Sollte es doch einmal zu einer Konfliktsituation kommen, dann sind immer zwei Sozialarbeiter vor Ort, damit einer bei Gefahr schnell die Polizei rufen kann. Als Konsequenz daraus gibt es auch Hausverbote.
Und auch wenn so Grenzen für die Klienten gesetzt werden, begegnen sie und die Mitarbeiter sich auf Augenhöhe. Dieser respektvolle Umgang wird zum Beispiel daraus deutlich, dass sich alle siezen. Es lässt sich dennoch nicht leugnen, dass es bei den Mitarbeitern angesichts des Elends der Wohnungslosen zu Depressionen oder Burn-outs kommen kann.
Doch trotz der stellenweise komplizierten oder auch konfliktreichen Situationen liegt der Tagesaufenthaltsstätte Panama die Arbeit mit den Wohnungslosen am Herzen, denn sie haben ein Ziel vor Augen: Den Menschen helfen, wieder in ihren Alltag zurückzufinden. Und das ist doch das, was den Beruf eines Sozialarbeiters ausmacht.
Money, money, money…
Um diese Hilfe überhaupt möglich zu machen, braucht man wie für fast alles Geld. Dieses Geld kommt von diversen Institutionen; unter anderem vom Landeswohlfahrtsverband (LWV), aber auch von den Landkreisen, Justiz- und Sozialministerien und dem Europäischen Sozialfonds.
Bedürftige helfen Bedürftigen
Gemeinsam mit den Klienten haben sich die Mitarbeiter von Panama überlegt, dass es Menschen auf der Welt gibt, die es sogar noch schlechter haben als die Wohnungslosen in Kassel. Aus diesem Grund wird ein Teil der Einnahmen (20ct), die aus dem Abendessen hervorgehen, an Kinderheime in Afrika gespendet. Dadurch kamen bereits 10 000 Euro Spenden zusammen.
Was können wir tun?
Könnt ihr euch noch an diesen einen Obdachlosen erinnern, der mal für kurze Zeit in Rotenburg unter der Brücke gelebt hat? Nein? Wir auch nicht, aber sicherlich hätte kaum einer von uns daran gedacht, ihm zu helfen. Aber vielleicht sollten wir das einfach mal!
Wenn ihr wüsstet, wie viele Wege es gibt, solchen Menschen eine Hilfe zu sein. Aber hey! Gleich wisst ihr es!
Ansprechen! Ihr müsst euch das mal vorstellen: Den ganzen Tag sitzt ihr auf dem dreckigen Boden rum und beobachtet, wie die Menschen desinteressiert an euch vorbeiziehen. Da fühlt sich doch keiner wohl, oder? Es erfordert schon Mut, sich dahinzusetzen, umso mehr freuen sie sich, wenn man sie anspricht.
Abgeben! Wie wäre es denn damit, anstatt einfach vorbeizulaufen, den Menschen eine Kleinigkeit zu schenken? Und damit meinen wir kein Geld. Vielmehr geht es dabei um die Grundversorgung – Essen und Trinken. Also zögert nicht und gebt den Menschen beim nächsten Mal einfach etwas ab.
Engagieren! Es gibt unzählige Organisationen oder Veranstaltungen, die Wohnungslosen unter die Arme greifen. Zum Beispiel werden Ehrenamtliche für das alljährige Tigerentenrennen in Kassel im Mai gesucht (dieses Jahr findet es leider nicht statt).
Darüber hinaus könnt ihr euch an der Tafel und in Tagesaufenthaltsstätten wie Panama engagieren, in den Tagesaufenthaltsstätten aber erst, sobald ihr 18 seid.
Wie ihr schlussendlich seht, gibt es unzählige Gründe dafür, warum man sich mit dem Thema Obdachlosigkeit auseinandersetzen und es nicht totschweigen sollte.
Calantha & Laura
Mehr Informationen zur Sozialen Hilfe Kassel
Wir danken an dieser Stelle noch einmal recht herzlich Herrn Jünemann, der sich Anfang Januar Zeit für unseren Besuch genommen und uns unsere Fragen beantwortet hat.