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„Es ist ein sehr großes Geschenk, zwei Kulturen zu kennen“ – im Interview mit Herrn Grunwald

Herr Grunwald ist seit 12 Jahren Lehrer an der Jakob Grimm Schule und unterrichtet die Fächer Sport und Politik und Wirtschaft. Er ist Klassenlehrer der G9d, Tutor des PoWi-Leistungskurs in der Q1 und Mitglied der Schulleitung. Im Interview mit ihm haben wir über Nachhaltigkeit, den PoWi-Unterricht und seine eigene Schulzeit gesprochen.


Wer ist Ihnen lieber: Schleimer:in oder Klassenclown?

Wenn ich mich wirklich entscheiden muss, würde ich den Schleimer bzw. die Schleimerin nehmen. Der Klassenclown ist zwar wichtig, kann aber im Unterrichtsgefüge mehr kaputt machen.


Lieber PoWi oder Sport?

Mittlerweile würde ich eher zu PoWi tendieren.


Wenn Sie auf Ihre Schulzeit zurückblicken: Wie waren Sie selbst als Schüler?

Mein Tutor hat in den Abi-Kaktus geschrieben, dass ich ein angenehmer Schüler war.

Ich denke, ich war die Mischung zwischen dem Schleimer und dem Klassenclown und deswegen für die Lehrkräfte relativ unproblematisch. Mein Schulnotenbild war nicht schlecht, aber auch nicht sehr gut – meinen Einser-Schnitt habe ich knapp verfehlt.


Was würden Sie machen, wenn Sie für einen Tag nochmal Schüler sein könnten?

Wahrscheinlich würde ich ein Projekt in Richtung Klimaschutz oder gegen Rassismus starten.


Gab es in Ihrer Schulzeit Lehrkräfte, die auf Ihr weiteres Leben Einfluss genommen haben?

Auf jeden Fall - im Guten wie auch im Schlechten. Man guckt sich von Lehrerpersönlichkeiten etwas ab, wobei es wichtig ist, dass man überhaupt Lehrerpersönlichkeiten hat. Ich glaube, dass es gut ist, wenn man Lehrkräfte mit positiven und negativen Eigenschaften hat. Dann weiß man, dass man entweder nicht so werden möchte oder man guckt sich von seinen Vorbildern etwas ab. Ein „Mittelding“, von dem man nichts mitnehmen kann, wäre schlecht. Ich hatte auch beides: Ich hatte eine Alkoholikerin als Lehrkraft, die mir gezeigt hat, wie man nicht auftreten sollte. Allerdings hatte ich aber auch Vorbilder, die mir eine Struktur vermittelt haben und die ehrlich waren, was mir natürlich auch nicht immer gefallen hat. Bei denen wusste man aber wenigstens, wo man dran ist.


Wollten Sie schon immer selbst Lehrer werden?

In den ganzen Freunde-Alben aus der Grundschule und auch aus der 5. und 6. Klasse steht unter meinem Namen, dass ich später Olympiasieger werden möchte. Ich wollte zuerst Spitzensportler werden und mit 16/17 habe ich dann verletzungsbedingt gemerkt, dass daraus leider nichts wird.


Zur Auswahl stand aber auch noch der Beruf Physiotherapeut, wo ich dann auch ein Praktikum gemacht habe – danach wollte ich aber kein Physiotherapeut mehr werden…

In der Oberstufe wusste ich aber schon, dass mich Lehramt interessieren würde. Bei meinem Zivildienst im Kindergarten habe ich dann festgestellt, dass ich lieber mit den Größeren arbeiten möchte.

Ich glaube, dass bei ganz vielen Lehrpersonen die jeweilige Biografie eine entscheidende Rolle spielt: Als Schüler habe ich nebenbei schon Training gegeben und hatte dadurch schon als 15-jähriger Spaß am Unterrichten. Außerdem ist meine Familie politisch interessiert und auch sozial engagiert, wodurch die Kombination aus Sport und PoWi auf jeden Fall gut passt.

Seit dem letzten Jahr leiten Sie in der E-Phase einige Schülerfirmen - was gefällt Ihnen an dieser Arbeit mit den Schülerfirmen?

Primär finde ich es gut, wenn die Schülerschaft selbstständig Projekte plant. Dabei macht es mir Freude, mitzuverfolgen, wie junge Menschen solche Sachen von sich aus erarbeiten. Ich habe natürlich auch Spaß daran, wenn sich mir die Möglichkeit bietet, ein Projekt zu starten - unabhängig davon, wie das Ergebnis ausfällt.


Für viele Schüler:innen scheint Politik eher ein langweiligeres Themengebiet zu sein - wie begeistern Sie persönlich Schüler:innen für Politik?

Das ist unterschiedlich: Den einen begeisterst du vielleicht mit einer Geschichte über Ärzte ohne Grenzen, den anderen durch Rollenspiele oder durch das Verfassen einer Bundestagsrede - es wäre eben schön, wenn wenigstens der Großteil aus der Klasse einen Punkt hat, den er an Politik oder Wirtschaft spannend findet.

Ist es schwer, als PoWi-Lehrer neutral in Bezug auf andere Meinungen zu bleiben?

Ich bin ein kompromissbereiter und konfliktorientierter Mensch - ich kann also sehr gut andere Meinungen akzeptieren, wenn diese sachlich vorgetragen werden. Natürlich gibt es auch Grenzen - beispielsweise bei den Themen Rassismus oder Diskriminierung kann man Standpunkte nur bis zu einem gewissen Grad dulden. Bei allem anderen gilt Meinungsfreiheit und damit komme ich auch klar.


Welche gesellschaftlichen Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?

Auf jeden Fall Klimaschutz, das Thema Rassismus in Verbindung mit der Migration und auch soziale Gerechtigkeit. Ich denke, dass Menschen, die besser verdienen, auch ein Stück weit mehr Verantwortung übernehmen müssten.


Ab welchem Alter haben Sie sich denn für Klimaschutz und Nachhaltigkeit interessiert?

Das kam in der Studienzeit, als ich um die 21 Jahre alt war. Wir als Familie haben nicht super umweltbewusst gelebt, wollten aber auch nichts übermäßig ausbeuten. Als dann meine Frau in mein Leben trat, war vor allem Ernährung für mich ein wichtiges Thema, da sie Vegetarierin ist. Und als ich dann nach Kanada gereist bin, kam die Frage auf, wie ich damit umgehe, dass ich durch diesen Flug das Klima so belaste: Es gab also Fragen, die in meinem Leben auftauchten und auf die ich eine Antwort finden musste.


Und was tun Sie zurzeit, um die Umwelt zu schützen?

Seit über acht Jahren bin ich zum Beispiel nicht mehr geflogen. Ich habe auch kein eigenes Auto, sondern leihe mir ab und zu das Auto meiner Schwägerin und versuche, so selten wie möglich das Auto zu benutzen. Bei Lebensmitteln achte ich auf Bio-Qualität und versuche so, verpackungsfrei einzukaufen. Das geht so weit, dass ich zum Beispiel eine Bambuszahnbürste habe – eben solche Kleinigkeiten. Der nächste Punkt ist natürlich, dass ich mit Leuten über das Thema spreche und darüber, was jeder Einzelne tun kann, ohne andere belehren zu wollen, sondern um darauf hinzuweisen.


Sie thematisieren offensichtlich gern das Thema Nachhaltigkeit im Unterricht. Gibt es auch noch weitere Lieblingsthemen?

Ich habe auf jeden Fall Lieblingsthemen: In der E-Phase ist zum Beispiel mein Lieblingsthema die Etablierten-Außenseiter-Konfiguration. Ich finde es faszinierend, wenn Menschen herausgefunden haben, warum die Gesellschaft so tickt, wie sie tickt. Warum wird man zum Beispiel Rassist?

Es ist interessant, Theorien zu haben, die einem den Weg eröffnen, Dinge mit anderen Augen sehen zu können. Natürlich interessieren mich Themen in Bezug auf Nachhaltigkeit, aber auch andere Themen in der Politik, die von Jahr zu Jahr wechseln.


Ein weiteres wichtiges Thema, das zum Schulalltag dazugehört, ist natürlich die Notenvergabe: Haben Sie im Rückblick schon mal eine Schülerin oder einen Schüler unfair bewertet?

Bewusst macht das eigentlich niemand. Es kann natürlich sein, dass ich aus Schülersicht schon mal jemanden unfair behandelt habe. Ich versuche allerdings, das dann in einem Gespräch zu klären, falls so etwas auftreten sollte. Wenn ein Schüler oder eine Schülerin mich darauf aufmerksam macht, probiere ich, einen gemeinsamen Weg zu finden und es nochmal genauer zu betrachten und zu überprüfen.


Ich finde, es ist eine wichtige Aufgabe eines Lehrers, sich bei anderen Ansichten nicht angegriffen zu fühlen, sondern sich beide Positionen anzugucken und zu versuchen, einen Weg zu finden, um in Zukunft damit umgehen zu können. Ich glaube, das ist eine Lehrerkompetenz, die man mitbringen könnte.


Zweifelt man als Lehrkraft bei einem schlechten Notenspiegel am eigenen Unterricht?

Natürlich macht man sich Gedanken darüber, warum die Schüler:innen nicht das gelernt haben, was sie laut meiner Lernstandsanalyse eigentlich hätten lernen sollen. Ich bin der Meinung, dass es auch eine wichtige Aufgabe ist, dies als Lehrer zu hinterfragen und zu schauen, wo der eigene Anteil darin liegt.


Haben Sie bei der Kontrolle von Arbeiten eine bestimmte Routine?

Die Jugendlichen, die ich unterrichte, wissen, dass ich in der Oberstufe die Arbeiten nicht mit Namen, sondern mit Nummern schreiben lasse. Und da ich in der Oberstufe circa 60 bis 70 von ihnen unterrichte, kann ich auch den Großteil der Handschriften nicht zuordnen. Außerdem kontrolliere ich die Arbeiten nach Aufgabennummern. Das bedeutet, dass ich zuerst Aufgabe eins kontrolliere und nach diesem Schema dann auch die nächsten Aufgaben durchgehe. Mein Erwartungshorizont ist zudem sehr klar - ich habe schon von Anfang an meine Erwartungen, nach denen ich dann auch beurteile.

In welchem Alter sind die Schüler:innen am nervigsten?

Achte Klasse, ganz klar! In der Lockdown-Phase war meine eigene Klasse in der Achten - für einen Lehrer somit das perfekte Alter, um zu Hause zu bleiben, da sie mitten in der Pubertät sind. Aber wenn man als Lehrkraft die achte Klasse überstanden hat, wird es auf jeden Fall besser.


Gibt es Klassen, in denen Sie gern unterrichten oder aber auch Angst vor dem Unterrichten haben?

In den meisten Klassen macht mir das Unterrichten auf jeden Fall Spaß. Wenn man frustriert in eine Klasse gehen würde, wäre man vielleicht auch im falschen Job. Trotzdem hat man natürlich Phasen, in denen es mal auf und mal ab geht, aber das ist ganz normal.


Was war Ihre furchtbarste Schulstunde?

Da gab es bestimmt einige – mir ist aber im Unterricht noch nie etwas wirklich Schlimmes passiert. KL-Stunden in der sechsten Stunde mit einer achten Klasse können aber eigentlich nur schiefgehen. Wenn man als Gymnasiallehrer gerade nichts zu besprechen hat, aber auch keinen Unterricht machen möchte, sind diese Stunden schon sehr quälend.


Wurden Sie schon mal von einer Schülerin oder einem Schüler beleidigt?

Nein – es kommt aber natürlich darauf an, was man als Beleidigung wahrnimmt. Da ich austeilen und Sprüche machen kann, muss ich natürlich auch einstecken können.

Wie und womit verbringen Sie Ihre Unterrichtspausen?

Da ich zwei Kinder habe, versuche ich, schon einen Teil meiner Arbeit bereits hier in der Schule abzuarbeiten und dadurch, dass ich auch Schulleitungsaufgaben erledigen muss, habe ich zum Beispiel auch viele Dinge mit Lehrkräften oder mit Schulleitungsmitgliedern zu besprechen. Außerdem habe ich durch den Job als Klassenlehrer und Tutor natürlich auch Verwaltungsaufgaben oder ähnliches zu erledigen. Deshalb sind die Pausen durch Arbeit, aber ebenso durch den Austausch über Schüler:innen geprägt.

Wird im Lehrerzimmer über Schüler:innen gelästert?

Das Lästern würde ich entkräften. Es wird aber ganz klar über diese gesprochen, was durchaus im spaßigen Sinne passieren kann, wie sie es über Lehrer auch machen.


Ist es Ihnen wichtig, dass Ihre Kinder in den Fächern, die Sie selbst unterrichten, besonders gut sind?

Nein. Ich versuche, ihnen als Elternteil etwas mitzugeben, damit sie eine gute Schullaufbahn durchlaufen können, aber ich möchte ihnen nichts vorschreiben.

Was war der schönste Moment, den Sie als Lehrer in Bezug auf Schüler:innen erlebt haben?

Wenn junge Menschen etwas auf die Beine stellen, werde ich auf jeden Fall emotional. Ich schaue mir sehr gern die Aufführungen vom Darstellenden Spiel an, wobei ich zum Beispiel Schülern und Schülerinnen zuschaue, die aus sich herauskommen, welche ich im Unterricht überhaupt nicht so eingeschätzt hätte. Das gleiche passiert auch bei Musikabenden.


Wenn du den Schüler/ die Schülerin kennst und sagst: „Oh, wow! Gute Musikerin – guter Musiker!“, dann berührt mich das, weil mir klar wird, dass hier in der Schule eine tolle Schülerschaft vorhanden ist.


Was wollen Sie gern uns Schüler:innen mitgeben?

Es ist ein sehr großes Geschenk, zwei Kulturen zu kennen. Deswegen sollte jeder andere Kulturen kennenlernen und diese nicht diskreditieren.


Außerdem brauchen wir viel mehr Weltbürger, die offen sind und nicht solche, die mit einer Deutschlandfahne herumlaufen - egal zu welchen Anlässen. Wir brauchen mehr Menschen, die sagen, dass sie Weltbürger sind und nicht Deutscher.

Wichtig ist auch, dass man kein „Öko-Terrorist“ werden und zu 100% klimaneutral leben muss. Man sollte aber trotzdem ein Bewusstsein haben, die Konsequenzen des eigenen Handelns zu kennen und zu wissen, auf was man verzichten bzw. was man leisten kann. Ein weiterer Punkt wäre es, im späteren Leben den Wohlstand, den man hat, zu schätzen und zu teilen.


Vielen Dank für Ihre ausführlichen und ehrlichen Antworten.

 

Das Interview führten Johanna und Sophie.

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