Kommentar
Wenn am Mittwochabend das Entertainer-Duo Joko und Klaas in einem schlichten Studio vor die Kamera tritt und verkündet, dass es sich in der Sendung am Vortag 15 Minuten freie Sendezeit bei ihrem Fernsehsender erspielen konnte, weiß man immer nicht so ganz, womit man rechnen soll: Immerhin sind die beiden überwiegend für ihre Blödeleien und Witze bekannt. Doch schon in der Vergangenheit machten sie während ihrer erspielten freien Sendezeit immer wieder auf gesellschaftlich relevante Themen aufmerksam: die Lage im Flüchtlingslager Moria oder sexuelle Gewalt gegen Frauen waren bereits Dinge, die sie aufgegriffen und zur Primetime gesendet haben. Dass solch wichtige Themen nicht innerhalb von 15 Minuten abgehandelt werden können, mag uns allen bewusst sein. Und das, was gestern Abend gesendet wurde, überstieg nicht nur die obligatorische Sendezeit von 15 Minuten, sondern auch jegliche inhaltliche Erwartungen.
ProSieben sendete gesamte Schicht aus dem Alltag in der Pflege
Als Zuschauer:in begleitete man knapp sieben Stunden lang die Fachgesundheits- und Kinderkrankenpflegerin für Intensiv- und Anästhesiepflege Meike Ista bei ihrer Arbeit im Knochenmark- und Transplantationszentrum am Universitätsklinkum Münster. Man erlebte ihren Arbeitstag durch eine an ihr angebrachte Bodycam nahezu in Echtzeit – man ist dabei, wie sie ihren Tag frühmorgens beginnt, Blut abnimmt, Fieber misst, mit den Patientinnen und Patienten redet und für sie da ist. Und all das, ohne ausreichend Pausen machen zu können.
Dass der Sender diese Reportage werbefrei sendet (wenn man von den kurzen Einspielern absieht, in denen sich Joko und Klaas bei ihren Sponsoren bedanken) und das weitere Programm verschiebt oder ganz absagt, ist eigentlich nur eine Nebensache, auch wenn es zeigt, dass Fernsehen doch noch etwas kann.
„Wenn wir streiken, sterben Menschen“
Immer wieder kommen während der Sendezeit auch noch weitere Pflegefachkräfte zu Wort, die von den prekären Verhältnissen im Gesundheitssystem aus ihrer Sicht erzählen: Wenig Pausen, höchste Konzentration, Dauerbelastung – und all das unter schlechten Bedingungen und für eine ungerechtfertigte Bezahlung. Die Sätze der weiteren Fachkräfte sind frustrierend und erschreckend zugleich: Sie erzählen von Kollegen, die 23 Tage hintereinander ohne Pause arbeiteten, von belastenden Momenten in ihrem Beruf, von erschöpften Fachkräften, die aus der Branche aussteigen - aber auch von schönen Dingen, die man zurückbekommt. Viele von ihnen lieben ihren Beruf - nicht aber zu den Bedingungen, unter denen sie arbeiten müssen.
Es sind Sätze dabei, die einen als Zuschauer:in wütend, frustriert und traurig zurücklassen: Wie vermeintliche Querdenker:innen durch ihr rücksichtloses Verhalten Menschenleben gefährden, wie eine Fachkraft einem an Demenz erkrankten Patienten erklären muss, warum das Personal nun Schutzkleidung tragen muss, wie eine Intensivkrankenschwester auf der Frühchenstation erzählt, dass sie diejenige ist, „die der Mama ihr totes Baby aus dem Arm nimmt“.
Es wäre naiv, zu sagen, dass man vorher nicht gewusst hätte, wie es um unser Gesundheitssystem steht. Dass es allerdings einen Privatsender und ein Entertainer-Duo braucht, um zur Hauptsendezeit im Fernsehen den ungeschönten und realistischen Alltag einer Pflegekraft darzustellen, zeigt umso mehr, wie ernst es um die Situation in unserem Gesundheitssystem steht. Auf RTL lief währenddessen ein WM-Qualifikationsspiel der Nationalelf und das ZDF zeigte Aktenzeichen XY – wie schon seit vielen Jahrzehnten.
Es wäre wünschenswert, wenn die Politik sich an dieser Reportage ein Beispiel nehmen und angemessen handeln würde. Denn schon in der Vergangenheit gab es immer wieder Hilferufe aus der Pflege, Debatten über Verbesserungen der Arbeitsbedingungen oder angemessenere Bezahlungen – wirklich viel geholfen hat all das bisher nicht. Und auch die Solidaritätsaktionen mit den Pflegekräften aus der ersten Welle der Corona-Pandemie haben nichts verändert – denn mit Applaus allein ist es nicht getan. Noch gestern Abend twittere Kanzlerkandidat der SPD und Finanzminister Olaf Scholz zur Reportage, heute äußerte sich auch Gesundheitsminister Jens Spahn dazu. Es bleibt zu hoffen, dass auf die Worte der Politiker auch entsprechende Taten folgen.
Nach einigen Stunden bin auch ich dann jedoch schlafen gegangen – ganz mit dem Bewusstsein, dass die Pflegekräfte nicht einfach eine Pause einlegen können, wenn sie erschöpft sind. Denn sie müssen trotz Erschöpfung weiterarbeiten in einem Job, der ihnen alles abverlangt.
Hier geht es zu einem Ausschnitt der Doku.
Sophie