Meinung
"Du musst dich mehr melden." Es ist ein Satz, der Schülern schon mal zu den Ohren rauskommen kann - dem einen mehr, dem anderen weniger. Bedenkenswert wird diese Phrase aber erst, wenn man schockiert und mit etwas blassem Gesicht von der mündlichen Notenbesprechung zurückkehrt.
Gut, vielleicht ist das jetzt ein bisschen übertrieben, aber ich denke, wir sind uns einig, dass die mündliche Note schon einen enormen Einfluss auf unser Zeugnis nimmt. Immerhin die Hälfte der Gesamtnote hängt von dieser einen Bewertung ab - von den Nebenfächern mal ganz abgesehen. Das mag natürlich alles schön und gut für die Schüler sein, die gerne mal öfter im Unterricht die Hand heben, um ihre Meinung offen mitzuteilen. Probleme lassen sich aber genau dann finden, wenn die mündliche Note einen in so gut wie jedem Fach um mehrere Noten herunterzieht und letztendlich den kompletten Schnitt vermasselt, obwohl die schriftlichen Noten alleine womöglich mehr als zufriedenstellend gewesen wären.
Und bestimmt werden sich gleich mehrere Schüler finden, die sich angesprochen fühlen, denn diese Situation ist sicherlich nicht selten. Umso seltsamer ist, dass es für viele Lehrer immer noch unerklärlich zu sein scheint, wenn Schüler, die in Klausuren noch gut mitkommen, sich während des Unterrichts nicht ein Mal zu Wort melden. "Du kannst es doch.", heißt es dann vielleicht in vielen Notenbesprechungen, kurz bevor man das Ausmaß seiner fehlenden Anteilnahme an Unterrichtsgesprächen zu spüren bekommt. Und genau dieses Ausmaß ist es auch, das schnell diese eine Frage aufkommen lässt: Wie gerecht sind mündliche Noten eigentlich?
Um dieser Frage nachzugehen, muss erst einmal eine Sache klargestellt werden, die viele Lehrer anscheinend nicht einsehen wollen: Es gibt nun mal verschiedene Arten von Schülern. Und genau das wirkt sich eben auch sichtbar auf die Beteiligung im Unterricht aus. Da gibt es zum einen die, die zu allem und jedem etwas zu sagen haben und sich somit nicht davor scheuen, die Hand zu heben, unabhängig davon, ob ihr Beitrag richtig, falsch, wiederholt, vom Thema abgewichen oder sonst was ist. Wer zu dieser Gruppe gehört, hat das Prinzip wohl verstanden und muss sich keine großen Gedanken um die mündliche Note machen.
Manche Lehrer scheinen allerdings vergessen zu haben, dass es neben dieser perfekten Vorstellung eines Schülers im Unterricht in der Realität auch noch eine weitere Gruppe an Schülern gibt. Es sind die sogenannten "Stillen", die während der Stunde wenig bis überhaupt nicht auffallen, da sie eben nicht wie andere das Bedürfnis haben, sich laut vor der ganzen Klasse zu äußern, was dann wohl damit endet, dass sich der Lehrer spätestens beim Korrigieren der Klausuren beim Blick auf den Namen fragt: Huch, wer ist das denn?
Das ist jetzt zugegebenermaßen etwas übertriebener dargestellt, aber man wird sich wahrscheinlich eher an den Schüler erinnern, der in einer Stunde zehn Mal etwas gesagt hat, als an den, der sich vielleicht ein Mal oder gar nicht gemeldet hat. Das läuft dann darauf hinaus, dass dieser ruhigere Schüler schnell als dumm abgestempelt wird und der Druck für ihn steigt, sein Können wenigstens noch in Klausuren zu beweisen. Und spätestens dann, wenn die Note im Schriftlichen wider Erwarten gut ausfällt, stellen sich die meisten Lehrer wohl die Frage, warum um alles in der Welt sich dieser Schüler denn nicht meldet.
Es ist an der Zeit, Lehrern endlich einmal klarzustellen, dass so ein stiller Schüler sich nicht nur unbedingt nicht meldet, weil ihm seine mündliche Note vollkommen egal ist. Natürlich gibt es Ausnahmen, da jeder Schüler bestimmte Hassfächer hat, in denen er sich dann eventuell nicht sonderlich anstrengt oder es schon längst aufgegeben hat, und häufig ist es wirklich so, dass man die Antworten einfach nicht weiß. Aber es geht wahrscheinlich vielen ruhigeren Schülern so, dass sie sich meist melden wollen.
Ich kann natürlich nicht für alle sprechen, jedoch kennen vielleicht einige das Problem, dass man einfach nichts Falsches sagen möchte. Um das zu erreichen, hält man sich einerseits zurück und meldet sich erst gar nicht oder man muss seine Antwort sehr genau durchdenken und sich bis auf's kleinste Detail überlegen, wie man das jetzt am besten sagt. Und dieses Nachdenken braucht eben Zeit. Zeit, die nicht vorhanden ist, weil vorher bereits unzählige Hände in die Höhe schießen und sich die Sache somit erledigt hat. Bevor jetzt aber wieder die verschiedensten Lehrer davon reden, wie schlecht diese Einstellung denn sei, da es nicht schlimm ist, etwas Falsches zu sagen, kann ich aus Erfahrung sagen, dass es sich nicht einfach ändern lässt. Natürlich ist es ärgerlich. Noch ärgerlicher ist es dann, wenn ein Mitschüler genau die Antwort ausspricht, die man sich nicht getraut hat zu sagen und die sich im Endeffekt als richtig herausstellt.
Neben diesen Fragen im Unterricht, bei denen man sich unsicher bei der Antwort ist, gibt es aber manchmal auch noch die Offensichtlichen, die so einfach erscheinen, dass man sich schnell fragt: Halten die mich für dumm? Und trotzdem bleibt man oftmals weiterhin still, da man sich komisch dabei vorkommt, etwas so Offensichtliches zu sagen. Das muss natürlich nicht jedem so gehen, kann aber trotzdem ein Grund dafür sein, dass die Meldungen ausbleiben.
Davon abgesehen ist das Melden auch immer mit jeder Menge Aufmerksamkeit verbunden und welcher ruhige Schüler will schon, dass sich dreißig Augenpaare auf ihn allein richten, während gleichzeitig die Chance besteht, etwas Dummes zu sagen? Eine unangenehme Vorstellung, wenn ihr mich fragt. Wenn dann auch noch der Gedanke da ist, ein kurzes Auflachen oder einen spöttischen Kommentar seitens seiner Mitschüler durch eine falsche Antwort einzukassieren, dann hat sich das mit dem Melden wohl erstmal erledigt.
Zuletzt gibt es einfach die Möglichkeit, dass ein Schüler schlicht und ergreifend ein stiller Typ ist. Punkt. Während es nun mal Menschen gibt, die offen und gerne über alles Mögliche reden, gibt es gleichzeitig welche, die sich zurückhalten oder mehr in sich gekehrt sind. Unterschiedliche Charaktereigenschaften nennt sich das wohl. Und dass ein in der Notenbesprechung noch schnell hinterhergerufenes "Komm doch mal aus dir heraus" nicht unbedingt bewirkt, dass man von nun an sein komplettes Leben umkrempelt und von jetzt auf gleich ein offener Mensch wird, muss wohl nicht weiter erwähnt werden. Sowas lässt sich weder in der Freizeit, noch in der Schule, wenn die mündliche Note auf dem Spiel steht, ändern. Daher ist es schlussendlich egal, wie oft man also gesagt bekommt, man solle sich mehr melden - es wird höchstwahrscheinlich nicht viel bringen.
Da wären wir dann wieder bei den mündlichen Noten und der Frage um ihre Gerechtigkeit angekommen. Aus all den oben genannten Gründen, die einerseits Lehrern dabei helfen sollten, im Bezug auf diese mysteriösen stillen Schüler endlich Licht ins Dunkel zu bringen, lässt sich nämlich andererseits genau eine Sache herauslesen: es geht darum, dass alles, was mit der mündlichen Note in Verbindung steht, mit Charaktereigenschaften zu tun hat. Während ein Schüler, der sich oft meldet und Fragen mit längeren Reden beantwortet, wohl sehr extrovertiert und aufgeschlossen zu sein scheint, mag ein Schüler, der sich kaum bis gar nicht meldet, dem Unterricht aber trotzdem folgen kann und in Klausuren meist gut mitkommt, höchstwahrscheinlich entweder schüchtern, introvertiert oder einfach ein ruhiger Typ sein. Das an sich ist natürlich alles nicht weiter schlimm, gäbe es nicht die Tatsache, dass das allein ein Grund dafür zu sein scheint, die Zeugnisnote meistens sehr deutlich zu verschlechtern.
Was ich damit sagen will, ist, dass mündliche Noten letzten Endes absolut gar nichts über die Intelligenz oder das Können eines Schülers aussagen können. Genauso wenig können sie feststellen, ob man jetzt gut oder schlecht ist. Und zu denken, ein stiller Schüler sei automatisch dumm, ist einfach nicht richtig. Vielmehr sind mündliche Noten nämlich eine Bewertung des Charakters. Was ziemlich ungerecht erscheint, da Schüler dadurch gleich um mehrere Noten abrutschen können. Es steht also fest, dass die mündliche Bewertung niemals wirklich fair ausfallen kann.
Das alles lässt schnell die Möglichkeit aufkommen, mündlichen Noten endlich ein Ende zu setzen und sie schlichtweg abzuschaffen. Dabei muss ich ganz ehrlich zugeben, dass ich, wenn man mir die Möglichkeit geben würde, sie abzuschaffen, wohl keine Sekunde zögern und mir denken würde: Weg damit. Dass das aber nicht ganz neutral gesagt wäre, ist mir bewusst. Natürlich muss gleichzeitig auch an die Schüler gedacht werden, denen es genau andersrum geht, die also mündlich hervorragend mitkommen und in Klausuren dann den Tiefpunkt ihres Lebens erreichen. Da wäre die mündliche Note die einzige Chance, das wieder auszugleichen und diese Chance zu nehmen, wäre wohl auch nicht ganz fair.
Egal, wie man es also dreht und wendet - so richtig gerecht scheint es nie für jeden werden zu können, ob man mündliche Noten jetzt abschafft oder nicht. Denn egal, wo die Stärken und Schwächen von Schülern liegen - ob im Mündlichen oder auch im Schriftlichen: Letztendlich wird in der Schule erwartet, dass wir alles gleich gut können. Dass aber genau das einfach nicht möglich ist, müsste inzwischen wahrscheinlich jedem klar geworden sein. Fast jeder Schüler wird irgendwo seine Schwächen in der Schule haben und ob die jetzt im mündlichen oder schriftlichen Bereich sind, ist dabei völlig egal. Entscheidend ist, dass man damit streng genommen für etwas benachteiligt wird, das lediglich in seinen Genen liegt.
Und was jetzt? Eine Frage, die auch mir schon oft genug durch den Kopf gegangen ist, denn eine einfache Lösung gibt es für dieses Problem wohl nicht. Letztendlich muss am Ende eines Halbjahres irgendeine Note auf dem Zeugnis stehen - ob man nun will oder nicht. Daher führt kein Weg an einer Bewertung vorbei und diese muss sich wohl oder übel aus der mündlichen und der schriftlichen Note zusammensetzen. Was mir allerdings zu denken gibt, ist die feste 50% zu 50% - Aufteilung zwischen dem Mündlichen und dem Schriftlichen, (die in Nebenfächern sogar wohlgemerkt 60% zu 40% beträgt).
Vielleicht sollten Lehrer versuchen, sich nicht ganz so viel an dieser Aufteilung festzuklammern. Denn die einzig machbare und vor allem gerechtere Lösung für alle ist eine Bewertung, die an den Charakter des Schülers angepasst ist. Man sollte es also Schülern nicht zu sehr verübeln, wenn diese in einem dieser beiden Bereiche eben nicht so gut sind. Natürlich muss beides in die Gesamtnote einfließen, doch müssen Schüler dadurch wirklich um mehrere Noten heruntergestuft werden? Vielleicht sollte sich darüber endlich mal Gedanken gemacht werden. Denn am Ende sind wir Schüler doch auch nur Menschen.
Laura
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